Hans-Rolf Ritter
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Die konstruktiven Grafiken von Hans-Rolf Ritter sind am Konzept "geometrisch-abstrakt" genannter Gestaltung orientiert. Sie greifen also ein Bildmodell der klassischen Moderne auf und verschaffen ihm neue Aktualität.
Im geradezu kammermusikalisch verdichteten Kleinformat bieten die mehrfarbigen Linolschnitte eine Fülle markanter Bildzeichen, komplexer Flächenorganisationen und fein abgestimmter Farbigkeiten. Gestaltung sucht hier weniger nach dem mathematisch-exakten, konstruierten Ergebnis, eher intuitiv nach Ordnung, Dichte und Harmonie.
Susanne Erbe
Wie viel Spannung verträgt die harmonische Struktur? –Zur abstrakten Bildsprache bei Hans- Rolf Ritter

„ Den Stoff sieht jedermann vor sich,
Den Gehalt findet nur der, der
Etwas dazu zu tun hat,
Und die Form ist ein Geheimnis
den Meisten“ ( Goethe)

Die Linolschnitte von Hans-Rolf Ritter sind circa 25 x 30 cm groß. Sie vermitteln durchgehend den Eindruck von Klarheit und Geradlinigkeit.
Beim Betrachten ruht das Auge zunächst auf einer Form, springt dann zu einer zweiten, zu einer dritten, zum Bildrand, geht über den Rand hinaus; es ist ein Springen zwischen klaren Abstufungen im eng verschachtelten Raum, von „ vorn“ nach „ hinten“ und wieder zurück, bedingt durch eine wechselnde Figur- Grund- Beziehung. Der Blick kann dabei aber auch in ein weiteres, unmittelbar daneben hängendes Bild springen, etwa von „Figur XVI I/10“ zu „Figur XVI /10“, um unvermittelt wieder in die erste Komposition zurückzukommen, denn das kleine Format macht eine Bildgruppenwahrnehmung möglich.

Wer genau hinsieht, entdeckt an den Druckrändern, dass sich die flächig angelegten Kompositionen nach und nach aus aneinander- und übereinander gesetzten Formen ergeben. Die Einzelform tritt sowohl geschlossen als auch geöffnet oder von den Bildrändern angeschnitten auf.
In überwiegend vertikaler Ausrichtung gibt es geometrisch frei zusammengesetzte oder rechteckige Flächenformen, breit oder schmal, kurz oder lang, gerade oder leicht schräg angeordnet.
Zwischen den größtenteils stumpfen und rechten Winkeln, in unterschiedlichen Proportionen, fallen wenige spitze Winkel heraus und erfahren somit Betonung. Die Vertikalität und Parallelität wird gebrochen und gestört, die vorherrschende stabile Dimension partiell um eine dynamische Dimension erweitert.
Einzig ausgespart ist die runde Form - vielleicht schneidetechnisch bedingt.
Die Konturen sind glatt, gerade und straff. Durch den Schnitt mit der Hand wirken die Formen aber niemals technisch kalt. Sie sind gleichmäßig in einem exakt die Fläche ausfüllenden Ton gedruckt und ebenso klar und präzise sind die Flächen in ihren Proportionen und Dimensionen. Eindeutig vermieden sind Zeichen von Arbeitsspuren, von Duktus und Walzrichtung.

Der bevorzugte Farbbereich in den vorliegenden Linoldrucken ist ein kühler Grauton. In sehr reduzierten, aber subtilen Farbunterschieden findet man Mischungen aus Grün-, Blau- und Grauwerten, sich zwischen Hell und Dunkel bewegend. Durch das in allen Farbtönen enthaltene Grau wirken alle Farben harmonisch, vermittelnd, fast weich zueinander. Es sind Farben einer Beleuchtung, wie man sie zwischen Nordfrankreich und Belgien antrifft, wo ein lichter, grauer Himmel alle Farben dämpft, oder wie sie der Holländer Vermeer bei der zurückhaltenden Gestaltung seiner kühlen Interieurs verwendet: Nirgendwo schreiend, aber auch nirgendwo fade und kraftlos.

Mit parallelperspektivischer Andeutung, Formüberschneidung und Hell- Dunkelverteilung wird Raumwahrnehmung angeregt. In keinem Bereich kommt es aber tatsächlich zu einer klaren, vollständig raumillusionistischen Deutung. Daher ergibt sich die Wirkung von engen, eher flächigen Verschachtelungen.

Wie auf der Formebene ist auch auf der Farbebene der Kontrast das wichtigste gestalterische Element: Hell-Dunkelkontraste, Intensitätskontraste lassen die Farben auf der Bildfläche wie Gewichte erscheinen, mal schwer und dominant hervortretend, mal leichter, defensiv, sich still zurückziehend und im Hintergrund mitschwingend. Zudem unterstützt die kontrastierende Farbkomposition die verschachtelte Raumwirkung: Strenge geometrische Formen, klare Flächenbegrenzung einerseits, vermittelnde, fast weiche Farbtöne andererseits.

Geometrie und Abstraktion können polyvalent gedeutet werden. Aufgrund der Vertikalität lassen einige Kompositionen, z.B. „ Figur XXVI /10 “ , die Assoziation zu lichten und schattigen Architekturen zu: Eine Fläche wird von der Sonne angeleuchtet oder vom Schatten kühl zurückgedrängt; allerdings scheint durch die klare Abtrennung der Farbflächen aber keine atmosphärische Wirkung beabsichtigt zu sein.
In „ Figur XXIX/09 “ muten die Formen wie stehende Bühnenkulissen an.
In „ Figur XVIII/10 “ treten die hellen und dunklen Flächenformen wie Zeichen auf, die sich spannungsvoll vor einem Grund abheben.
Daneben könnten die Kompositionen aber auch ganz andere Strukturen veranschaulichen, z.B. die eines Gesprächsverlaufes. Bei der „ Figur XXIII/10/a “ etwa ist eine Situation vorstellbar, bei der unterschiedliche Standpunkte vertreten werden, die zunächst Widerspruch hervorrufen, sich dann aber doch in einem Kompromiss finden.

Klare Formen ziehen Grenzen, werden isoliert, aber auch durchbrochen. Durch die Überschneidungen wird ein Sich-öffnen, ein Sich-verschließen, ein Durchdringen fühlbar gemacht. Schließlich entwickelt sich das Bild zu einem Modell für gelebte und lebenswerte Harmonie.

Um es in der Sprache der Musik zu sagen: Manche Bilder kann man sehen, wie man kammermusikalische Kompositionen hören würde. In weichem, eher verhaltenem Klang wird ein musikalischer Disput ausgetragen. Innerhalb der Komposition hat jeder Klang den gleichen Wert, und abschließend ist nicht Streit das große Thema, sondern jene intuitiv gefundene, geheimnisvolle Harmonie, gekennzeichnet durch sich ausgleichende Gegensätze.

In Hans- Rolf Ritters Linolschnitten findet man den Mut und die Fähigkeit, alle gedachten, gefühlten und gesehenen Momente, Zu- und Zwischenfälle, zu bündeln, zu filtern und so als „gereinigtes“ Konzentrat vorzustellen. Die „Wahrheit“ ergibt sich, in Verweis auf das vorangestellte Goethe- Zitat, aus der Relation der objektiv vorhandenen Gestalt ( dem „Stoff“) und ihrer subjektiven Deutung.
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